Weißbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“

hier eine Stellungnahme zum Weißbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“

Weißbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“
– mit Kohlestift geschrieben und CCS als Perspektive
Obwohl die Regierungen seit 2010 kräftig dagegen halten, kann die Dynamik der
erneuerbaren Energien letztlich nicht gebrochen werden. Die Ablösung von Atom und
fossil ist „alternativlos“. Daran kommt auch das „Weißbuch“ nicht vorbei. Doch wirft es den
EE Steine in den Weg und ist um einen unbegrenzten Bestandsschutz für die
Kohleverstromung bemüht, deren Emissionen durch CCS „minimiert“ werden sollen.
Externe Kosten fallen unter den Tisch
„Stromgestehungskosten setzen sich aus Kapital- und Betriebskosten wie zum Beispiel
Brennstoffkosten und Kapitalverzinsung zusammen“ liest man auf S. 87. – Die Verfasser
vergessen die „externen Kosten“, die bei der Stromgestehung auch noch anfallen. Laut
Bezifferung durch das UBA betragen die durch Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschäden
verursachten Kosten bei der Braunkohleverstromung 10,75, bei der Steinkohle 8,94 Cent
pro KWh. Diese Kosten erscheinen auf keiner Rechnung, werden von der Bevölkerung
aber real bezahlt. Auch die erneuerbaren Energien erzeugen externe Kosten, die von der
Allgemeinheit getragen werden. Da diese um ein Vielfaches geringer sind (Windenergie:
0,26, Photovoltaik: 1,18 Cent), genießen die fossilen Energien einen eklatanten
Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren erneuerbaren Konkurrenten.
Im Weißbuch ist der Strommarkt das zentrale Organ, worüber alles geregelt wird. Da die
Chancenungleichheit unter den verschiedenen “Playern” dieses Marktes nicht
berücksichtigt wird, befinden sich alle Aussagen von vornherein in einer Schieflage.
An einer Stelle wird diese Problematik berührt: “Steigende Emissionspreise verteuern die
fossile Stromerzeugung und heben das Börsenpreisniveau an. Dies senkt die EEG-
Differenzkosten und entlastet damit die EEG-Umlage.” (S. 88) Wie realistisch eine
Verteuerung der CO2-Zertifikate ist, wird allerdings nicht diskutiert.
Unbegrenzter Bestandsschutz für Kohleverstromung mit CCS
Ein Großteil des Weißbuches beschäftigt sich immer wieder mit “Kapazitätsmarkt” und
“Kapazitätsreserve”, mit den Unterschieden zwischen beiden und den Vorteilen der
Kapazitätsreserve. Diese sind auch nicht in Abrede zu stellen, doch in beiden Fällen
haben wir es mit fossiler Energie zu tun.
Versteckt, doch unverkennbar werden im Weißbuch die Weichen so gestellt, dass die
Kohleverstromung auf unabsehbare Zeit erhalten bleibt. Auf S. 36 heißt es noch
beruhigend: “In den kommenden zehn Jahren werden voraussichtlich kaum neue
Kraftwerke gebraucht.” – Doch was dann? – Antwort (S. 89): “Effiziente und flexible
konventionelle Kraftwerke werden auch zukünftig benötigt. Moderne Kraftwerke
überbrücken längere Zeiträume ohne ausreichende Stromerzeugung durch Wind- und
Photovoltaikanlagen.”
Hier wird bekräftigt, was bereits im Grünbuch stand: Eine 100%ig erneuerbare Versorgung
ist gar nicht beabsichtigt. Vielmehr sollen über das Jahr 2050 hinaus und auf unbestimmte
Zukunft 20% Kohlestrom im Mix erhalten bleiben. „Die Rolle der konventionellen
Kraftwerke ändert sich hin zum flexiblen Partner der erneuerbaren Energien und zur
Bereitstellung der erforderlichen Residuallast.“ (S. 89) Bekanntlich können konventionelle
Kraftwerke vom ganzen Wesen ihrer Technik her niemals die Flexibilität erreichen, wie sie
von einem Partner für Wind- und Sonnenstrom zu verlangen ist. Doch wie ein “deus es
machina” wird eine von der Bundesregierung geförderte “Forschungs- undEntwicklungsinitiative COORETEC” eingeführt: Sie wird die konventionellen Kraftwerke
flexibel machen – und nicht nur das: sie optimiert auch deren Wirkungsgrad und minimiert
gleichzeitig auch noch die Emissionen. Wie sie letzteres erreichen soll, wird an dieser
Stelle schamhaft verschwiegen. Man erfährt es aber unter https://www.cooretec.de/ und
findet dort die alte Bekannte
“Abscheidung und Transport von CO 2 mit dem Ziel einer langfristigen und sicheren
Speicherung in geologischen Formationen.” !
Für diesen gigantischen Schildbürgerstreich, bei dem immense Kosten aufgebracht
werden, um CO2 abzuscheiden, zu transportieren und behälterlos in sog. „geologische
Speicher“ zu pressen, aus denen es anschließend wieder ausgast, sofern es nicht zu
explosionsartigen Leckagen kommt mit sofortiger Erstickung allen Lebens in der
Umgebung – für diesen toten Gaul, der in einer jahrelangen öffentlichen Debatte längst
begraben wurde, verausgabt die Bundesregierung also Forschungsgelder! – Mit der
Perspektive CCS führt das Weißbuch die „Energiewende“ ad absurdum.
Langzeitspeicherung in eine ungewisse Zukunft verschoben
Forschungsgelder werden benötigt für die Weiterentwicklung und Optimierung der
Speicherung, insbesondere der Langzeitspeicherung. Diese (nicht Kohlekraftwerke) ist der
naturgemäße Partner der fluktuierenden erneuerbaren Energien. Doch, wie auch schon im
Grünbuch, wird die Langzeitspeicherung als quasi realitätsfernes Ansinnen hingestellt und
in eine unbestimmte Zukunft verschoben: “Zusätzliche neuartige Langzeitspeicher, die
saisonale Schwankungen ausgleichen können, sind erst bei sehr hohen Anteilen
erneuerbarer Energien erforderlich.” (S. 14) – Wann diese hohen Anteile zu erwarten sind
und wann mit der Lernkurve der Langzeitspeicherung zu beginnen ist, damit sie dann
ausgereift und wirtschaftlich zur Verfügung steht, wird nicht gesagt. – Doch verständlich:
Wenn neue Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung, zehntausende Kilometer CO2-
Pipelines, Verpressungsanlagen und der entsprechende Energiebedarf beabsichtigt sind,
wird für Langzeitspeicherung nicht auch noch Geld übrig sein.
Kostendruck auf EE durch „Ausschreibungsmodelle“
Für Photovoltaik, und spätesten ab 2017 auch für Windkraft, soll das
„Ausschreibungsmodell“ eingeführt werden. Dessen Absicht besteht erklärtermaßen nicht
darin, den EE-Ausbau voran zu bringen, sondern dessen Kosten zu senken:
„Ausschreibungen sollen durch die Ermittlung von wettbewerbsfähigen
Stromgestehungskosten dazu beitragen, die Förderkosten auf das erforderliche Niveau zu
begrenzen.“ (S. 88) Angesichts des Einbruchs der deutschen Solarwirtschaft aufgrund der
drastischen Senkungen der Einspeisevergütungen seit 2012 ist dies keine gute Nachricht
für die Energiewende. Auch der Windkraftbranche macht dieser Kostendruck Probleme
und führt dazu, dass an Löhnen und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gespart wird.
Dies wiederum sorgt für ein schlechtes Image betroffener Betriebe bei den
Gewerkschaften und in der Öffentlichkeit.
Absurde Regelungen zur PV-Abbremsung bleiben bestehen
Weiterhin soll die Regelung bestehen bleiben, wonach Betreiber von PV-Anlagen ab 10
KWp für ihren Eigenverbrauch EEG-Umlage bezahlen müssen. Damit wird auch an dieser
Stelle der PV-Ausbau gebremst. Außerdem ist diese Vorschrift logisch absurd: Sinn und
Zweck der EEG-Umlage ist die Förderung der EE. Die genannten EE-Betreiber müssen
also ihre Förderung selber bezahlen (um mitzuhelfen, dass z.B. Kohlebagger von der
Umlage befreit sein können).
Das Gleiche trifft zu auf das „Mieterstrom-Modell“: Mieter, die Strom aus PV-Anlagen auf
dem Dach des von ihnen bewohnten Gebäudes verbrauchen, müssen die volle EEG-Umlage bezahlen. Auch dies bremst die Energiewende und ist nicht nur absurd, sondern
auch noch unsozial.
Das Weißbuch schreibt alle Maßnahmen fort, mit denen versucht wurde und wird, die
überragende Akzeptanz, die die Energiewende immer noch bei der Bevölkerung hat, zu
beschädigen. Hier ist an erster Stelle die 2010 von Schwarz/Gelb eingeführte
Berechnungsweise der EEG-Umlage zu nennen. Sie führte dazu, dass deren
Gesamtsumme auf über das Doppelte der ausgezahlten Einspeisevergütungen anstieg
und damit zur Zweckentfremdung dieser Gelder. Vor diesem Hintergrund wurden die EE
als Preistreiber hingestellt, um das von ihnen eingeleitete, aber nicht an die Verbraucher
weitergegebene Sinken des Börsenpreises zu konterkarieren.
Kein Platz fürs menschliche Gesicht der Energiewende im Weißbuch!
Motor der Energiewende sind die Menschen, die verstanden haben, was der Klimawandel
bedeutet und die ihre Pflicht und Würde darin sehen, alles zu tun, um unseren
wunderbaren Planeten als menschenfreundlichen Platz zu erhalten.
Den Konzernen passt dies nicht ins Geschäftsmodell.
Das Weißbuch verfolgt die Absicht, durch Abbremsung der Energiewende und die Art ihrer
Ausgestaltung großen Unternehmen entgegen zu kommen.
Die „Bürgerenergie“ – auf technokratisch „Akteursvielfalt“ – kommt im Weißbuch nicht vor.
Dadurch wird der Motor der Energiewende abgewürgt und ihr das menschliche Gesicht
genommen. Ein Begriff wie „Direktvermarktung“, welcher besagt, dass der Verkäufer von
Strom in direkten Kontakt zu seinem Abnehmer tritt, wird umgedeutet in die indirekte und
unpersönliche Vermarktung über die Börse. Die vielfältigen Möglichkeiten, die sich aus
dem dezentralen Charakter der EE, insbesondere der Photovoltaik, ergeben, werden
durch bürokratische Hürden und finanzielle Auflagen unterdrückt. Von einer „Marktfreiheit“
ist hier wenig zu spüren. Wenn es z.B. für ein Dorf vorteilhaft wäre, sich über ein eigenes
Netz mit selbst erzeugtem Wind- oder Sonnenstrom plus Speicherung zu versorgen, so ist
dies verboten.